VON DER GÖTTLICHEN LEHRE zum Megatrend: Auf der Suche nach Balance und Fitness praktizieren immer mehr Menschen Yoga. Doch welcher Stil ist der richtige? Eine Anleitung für Einsteiger
Ob Lidl-Markt oder Luxusresort: An Yogamatten führt anscheinend kein Weg mehr vorbei. Knapp 37 Millionen Amerikaner und drei Millionen Deutsche rollen regelmäßig ihre Übungsunterlage aus – ein riesiger Markt, der immer mehr Interessenten nachzieht. Allein in Deutschland unterrichten mittlerweile mehr als 20 000 registrierte Yogalehrer. Kaum ein Sportverein, der noch ohne Buddhastatue im Übungsraum auskommt.
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen die Heilkraft der Übungen: Rückenprobleme, Stress, chronischer Schmerz, Gefäßprobleme, mangelnde Konzentrations- und Lernfähigkeit sowie Migräne werden gelindert – sogar bei psychischen Problemen kann Yoga helfen. Längst geht es nicht mehr allein um die hinduistische Lehre, die sich der Annäherung ans Göttliche durch Selbsterkenntnis widmet. Im Westen hat Yoga eine stark physisch-sportliche Richtung eingeschlagen und ein Kaleidoskop der Schulen hervorgebracht. Doch wie findet man den Stil, der zu einem passt?
Beruhigt den Geist,
reinigt den Körper
Fragt man Kenner, für die Stellungsklassiker wie „Abwärtsschauender Hund“ Routine sind, erhält man zumeist Antworten, die Laien wenig weiterhelfen: Der eine preist seine Lehrerin, die auf Trainings- und Schweigeseminaren am Gangesufer in Indien Kompetenz und Charisma erworben hat. Der andere empfiehlt den angeblich ultimativen Kurs im Sportstudio um die Ecke. Yoga ist ein bisschen Glaubenssache, und bei jeder Art gibt es Anhänger und Verächter. Auch der komplexe philosophische Yogaüberbau hilft bei der Entscheidung nicht wirklich. Letztlich geht es bei allen Formen um Zentrieren, Fokussieren und um Selbstreflexion. Um den Blick nach innen, der als Ausgleich zu einer stressbeladenen Welt empfunden wird – bestenfalls verbunden mit weniger Rückenschmerzen und Verspannungen.
Auf dem Weg zum passenden Stil hilft am Ende nur ein Ratschlag: Mach dich auf die Suche! Jede Yogaschule bietet Schnupperstunden an, bei denen sich Anfänger mit den unterschiedlichen Formen vertraut machen können. Dabei begegnen sie Turbanträgern und fremdsprachigem Singsang im Kundalini-Zentrum, geraten bei 40 Grad Raumtemperatur nach Bikram-Übungen womöglich in Atemnot – oder in Verzückung.
Wichtig ist vor allem, sich darüber klar zu werden, wie sportlich oder gesund man es angehen möchte. Das Yoga, welches sich jenseits des indischen Subkontinents seit etwa 50 Jahren in Europa und Nordamerika ausgebreitet hat, teilt sich grob in sportliche Stile und in ruhigere, stärker meditative Varianten.
Ein Überblick über die wichtigsten Spielarten:
Für Achtsame
Bei den ruhigeren Stilen steht weniger die Fitness im Vordergrund als die Gesunderhaltung des Organismus durch Achtsamkeit in der Bewegung – also die Konzentration auf sich selbst. Die Körperpositionen, die sogenannten Asanas, entsprechen denen anderer Yogarichtungen. Allerdings werden sie intensiver erklärt und korrigiert sowie langsamer ausgeführt und länger gehalten.
Diese „kalten“ Stile (hier kommt höchstens jemand ins Schwitzen, der vor Übereifer die Luft anhält) legen den Schwerpunkt auf die exakte individuelle Ausrichtung des Körpers und seine Gesunderhaltung. Die bekannteste Schule ist nach ihrem indischen Gründer B. K. S. Iyengar benannt. Moderne westliche Adaptionen heißen Anusara-, Yin-, Vini- oder Faszienyoga.
Auch wenn die Übungen weniger anstrengend wirken: Neulinge sollten, wie bei allen Yogavarianten, in Einsteigerkursen starten. Da die Lehrer stärker korrigierend eingreifen, besteht weniger Gefahr, dass der Bewegungsapparat geschädigt wird.
Für Sportliche
Wer fit und ehrgeizig ist, findet unter den dynamischen Yogarichtungen sicher etwas Passendes. Anfänger starten im Einsteigerlevel und arbeiten sich über ein paar Jahre Übungspraxis zu den Fortgeschrittenenkursen mit stärker fordernden Körperpositionen und Übungen hoch. Die bekanntesten Yogarichtungen heißen Ashtanga, Power, Vinyasa Flow, Bikram und Jivamukti.
Alle Stile haben ihren eigenen philosophisch-ideologischen Hintergrund und „Spirit“. Ashtanga-Yoga etwa verlangt hochkonzentrierte körperliche Hingabe und legt neben einer Reihe festgelegter dynamischer Bewegungssequenzen einen Fokus auf unterstützende Atemtechnik: Ein- und ausgeatmet wird durch die Nase. Diese sogenannten Pranayama-Techniken – nach der in der Sprache Sanskrit als „Prana“ bezeichneten Lebensenergie – sollen den Geist beruhigen und die Energiebahnen des Körpers reinigen.
Ist Ashtanga stark geprägt von der Lehre zeitgenössischer indischer Yogagurus, entspringen Power-, Bikram- und Jivamukti-Yoga der Interpretation und Lehre westlicher Yogis. Der Körper als Tempel, der verehrt werden soll – dieser Ansatz ist sämtlichen Varianten gemein.
Für Körperbewusste
Wichtige Richtungen für bewegungsfreudige Yogis heißen Martial Arts oder Acro (von Akrobatik). Nur wer eine überdurchschnittliche Grundfitness und Gelenkigkeit sowie eine gewisse Experimentierfreude mitbringt, wird sich in diesen Kursen wohlfühlen. Für Anfänger sind sie ungeeignet und frustrierend. Wer noch nie Yoga gemacht oder auf einem schwankenden Stechpaddelbrett gestanden hat, sollte folglich nicht mit Stand-up-Paddling-Yoga (SUP-Yoga) beginnen, sondern seine Übungen lieber auf festem Boden machen. Es gibt kaum eine Spielart, die bei Körper- und Trendbewussten nicht auf Fans stößt. Beim Flying Yoga trainiert man in Tüchern, die an der Decke befestigt sind. Oder soll es eine Runde Nacktyoga sein? Ging es bei Yoga einst um die Vermittlung von Weisheit, ist Spiritualität hier und jetzt nur noch als Dekor sportlicher Aktivität wahrnehmbar.
Yogapuristen können damit nicht viel anfangen, zumal die Belastung von Gelenken, Sehnen, Muskeln und Weichgewebe durch die oft herausfordernden Asanas teilweise enorm sind. Niemand, der stundenlang am Schreibtisch sitzt, sollte seine Nackenmuskulatur und die oft fehlgestellte Halswirbelsäule plötzlich in einen Kopfstand zwingen.
Für Spirituelle
Tantrisch-esoterische Einschläge, viele Atemübungen und Gesangseinlagen finden Interessierte beim Kundalini-Yoga. Gründer Yogi Bhajan ist vielen von den Schachteln der Yogi-Tees bekannt. Ziel dieser Richtung ist die Erweckung der „Kundalini“ genannten Lebenskraft. Die yogische Praxis reinigt demzufolge Körper, Geist und „Chakren“ (Energiezentren), um einen Bewusstseinszustand zu ermöglichen, der – vereinfacht gesagt – zur Erleuchtung führt. Im Sivananda-Yoga wird eine Reihe von ruhig eingenommenen Körperpositionen mit verschiedenen Atemtechniken kombiniert.
Vor allem die Einsteigerstunden folgen weitgehend einem festgelegten Ablauf. Je tiefer man einsteigt, desto mehr berührt der Unterricht auch die spirituellen Aspekte des Yoga. Gerade in Kombination mit meditativen Elementen hat Yoga eine Vielzahl positiver Nebeneffekte, zumal es häufig mit einem gesünderen Lebensstil einhergeht.
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von Alke von Krustynski